Varaita-Maira-Kammstraße

Liebe Freunde,

nach der Assietta-Kammstraße, dem Col de Sommeiller sowie dem Passo della Forcella gibt es heute ein weiteres Schmankerl für ambitionierte Endurofahrer. Um es vorweg zu nehmen, ein Abschnitt der Varaita-Maira-Kammstraße ist sicher mit einem Schwierigkeitsgrad von SG4-5 zu bewerten. Man kann diese Stelle aber ggf. auch auslassen und vorher ins Tal abfahren. Die gesamte Kammstrecke ist meist geschottert und führt über moderaten Steigungen von 12% bis zum etwa 50 km entfernten Umkehrpunkt. Sie bietet immer wieder herrliche Ausblicke und weist sonst typisch einen Schwierigkeitsgrad von ca. SG3 auf. Näheres findet ihr im folgenden Artikel.

Wir waren über den Col d’Agnel ins Varaita-Tal angereist und weiter auf der SP8 bis nach Venasca gefahren (Kartenpunkt A). Hier biegt man rechts über die Varaita in Richtung Stadtmitte ab und durchfährt das Örtchen geradeaus, bis ein kleines Sträßchen, die Via Bricco Collino, nach links den Hang hinauf abbiegt und bald in südlicher Richtung abdreht. Die Anfahrt ist nicht einfach zu finden, da das Sträßchen, bevor es den Kamm erreicht, immer wieder im Zick-Zack-Kurs einzelne Siedlungen anbindet. Nach ca. 5,5 km muss man hinter Bricco und Collino bei Goria rechts abbiegen. Es folgt ein schmales Sträßchen, das sich nach ca. 7km in 12 Kehren den Hang hinauf zum Kamm schlängelt. Dort geht der Straßenbelag dann von Asphalt in Schotter über und wird bald zu einem kleinen Waldweg unter dessen Bäumen Einheimische die Kühle des Schatten suchen.

Nach ca. 12 km geht der Waldweg nochmals kurz in Asphalt über und man passiert das Ristaurante Corona Grosso. Zu diesem führt auch ein alternativer Einstieg in die Route von der SP8 bei Valcurta/Melle herauf.

Wir folgen dem Kamm in westlicher Richtung. Der Belag geht hier, ca. 16km nach Venasca, in den festen Belag der alten Militärstraße über und bleibt im wesentlichen so für die nächsten Kilometer. Die folgende Passage zieht sich fast eben unterhalb des Colle di Melle entlang des Kamms und bietet nun immer wieder schöne Ausblicke. Der Blick auf den Bild links zeigt den Kamm und den Anstieg hinter dem Colle del Birrone.

Der Untergrund des Sträßchens ist recht ungewohnt. Die alte Militärstraße war für schweres Gerät konzipiert. Zwischen festen Randsteinen wurden quer Füllsteine gelegt. Darauf wurde feinerer Schotter aufgebracht und verdichtet. Der Zahn der Zeit hat wohl an der Straße genagt und die Füllung insbesondere in den steileren Passagen komplett entfernt, so dass man fast nur noch auf dem Unterbau fährt. Wir haben auch in den einfachen Passagen (hier ca. SG3) immer wieder nach einer geeigneten Geschwindigkeit gesucht, bei der die Federn die Unebenheiten und Querrillen gut schlucken. Teilweise kam man sich vor, wie auf einer Rüttelplatte.

Ab dem Colle del Birrone (km 29,5; Kartenpunkt B) bis zum Colle Rascias (km 37) ändert sich der Charakter der Straße grundliegend. Ab hier beginnt der haarige Teil der Strecke den ich mit SG4-5 einschätzen würde. Wer sich dies nicht zutraut, sollte hier den Ausblick auf dem kleinen Hügel mit dem Kreuz genießen und über Chesta (Kartenpunkt C) ins Tal nach San Damiano Marca zur SP422 abfahren. Wir hatten an diesem schönen Rast- und Aussichtspunkt einen Schäfer getroffen, der uns klar machen wollte, dass man prinzipiell schon fahren kann, dass der Weg aber grob und schwierig ist. Er kenne den genauen Zustand nicht und empfahl uns die Abfahrt nach San Damiano Marca.

Die Steinhölle

Wir haben uns für das Weiterfahren entschieden. Man könne ja immer noch umkehren, wenn es zu haarig wird.

Der nächste Kilometer wird eng und grobschottrig bis steinig. Verglichen mit dem Passo della Forcella ist die Steigung von maximal 12% human, der Untergrund wechselt beim folgenden Anstieg jedoch stark und besteht fast nur noch aus dem stufenförmigen Unterbau. In vier Kehren schlängelt sich die Straße nach oben zum Collet Rusciera (2052 m, ca. km 35).

Dieser Abschnitt kommt einen vor, als würde man eine Kirchentreppe hinauf fahren, auf die jemand noch lose grobe Steine geworfen hat, nur dass die Treppe nicht nur schmal ist sondern auch noch enge Kehren hat. Linker Hand fährt man am Felsen und die Randsteine, die die Straße vom Abhang rechts trennen sind meist nicht mehr vorhanden. Zum Glück ist auf dieser Höhe die Baumgrenze noch nicht erreicht, so dass man nicht Hunderte Meter nach unten sieht sondern kleine Bäume und Büsche einen die Sicht verstellen.

Das eigentliche Problem sind hier die Quersteine, die immer wieder Treppen bilden. An der Hangseite ist man zu nah am Felsen, auf der Talseite zu nah am Abhang. Da hilft nur eins: Friedbert verlagert vor einer höheren Stufe das Gewicht auf den Rasten, reißt das Gas auf und zieht am Lenker, um das Vorderrad anzuheben. Die 990 Adventure schlägt trotzdem an der Oberkante der hohen Steinstufe an und springt wie eine Gams in den groben Schotter oberhalb.

Ich versuche an einer Stelle anzuhalten, an der auch Adelmut hinter mir halten können sollte. Noch nicht ganz zum Stehen gekommen höre ich hinter mir einen Schrei „Weiter! Nicht stehen bleiben!“. Adelmut kommt angeschossen. Die Twin springt über die Treppenstufen hinter mir nach oben. Ich reiße das Gas auf und fahre weiter. Nun, unter anderem deshalb kann ich Euch auch kein Bild von dieser Passage präsentieren. Schade. Man fotografiert halt doch dort, wo man bequem Rast machen kann und denkt in solchen Passagen zu wenig an seine Leser. Die Idee mit dem Umdrehen ist ohnehin schon lange verworfen, der Weg ist hier meist viel zu eng.

Die Schotterhölle

Am Collet Rusciera (km 35) bietet sich ein wundervoller Ausblick und der Charakter der Straße ändert sich erneut. Ab hier wechselt die Trasse nach der kurzen Passage entlang des Nordhangs wieder auf den Südhang des Kamms. Bisher hatten wir Schatten. Bei 38°C im Tal war das sehr angenehm. Auf der Sonnenseite fühlen sich die auf dieser Höhe noch herrschenden 28°C unerträglich warm an. Haben wir genug Wasser dabei? Zwei Liter pro Person sind nicht zu viel.

Hinter dem Collet Rusciera steigt die Straße kontinuierlich von 2052 m Höhe bis zum Colle Rastcias  auf 2176 m an. Der Untergrund besteht aus losem, mittelgrobem Kies. Stellenweise führt die Strecke durch Geröllfelder und im Gegensatz zu den harten Steinstufen beginnen die Enduros in den Steigungen bekannter Maßen zu schwimmen.

Adelmut hatte sich auf den Steinstufen wohler gefühlt. Ein Gefühl, das Friedbert nicht teilt. Hier wäre eine geeignete Umkehrstelle. Aber diese Steinstufen hinunter möchte Friedbert auf keinen Fall fahren. Da schon lieber weiter ins Unbekannte.

Die Steigung führt noch durch einige lose grobschottrige Passagen an denen die Kammstraße entlang von Schotterhalden führt, erreicht dann aber bald Ihre maximale Höhe, die sie entlang des Kamms in etwa beibehält.

Der genussvolle Abschluss der Tour

Bei etwa km 37, nach der Abzweigung zu einem kleinen, tiefer gelegenen Hof, finden wir eine kleine Quelle. Eigentlich ist es nur ein kurzer Schlauch, der aus einem Erdloch direkt neben der Straße heraus schaut. Durstig wie vorsichtig füllen wir unsere Flaschen und trinken das eiskalte und klare Bergwasser. Nur Vorsicht, wer zu sehr am Schlauch zieht und wackelt, der bekommt auch ein wenig Erde in sein Trinkgefäß gespült. Zwei Liter Wasser mitzunehmen war bei dieser Hitze einfach zu wenig.

Ab hier wird der Straßenbelag wieder kompakter und die Piste ist wieder einfach zu befahren. Bei km 39 treffen wir auf Schäfer mit ihren Hunden und machen kurz Rast um den Blick ins Tal zu genießen.

Bei km 44 kreuzt die Teerstraße, die von Sampeyre nach San Martino führt. Wer die zurückliegende schwere Passage über San Damiano Marca und San Martino umfahren hat, trifft hier wieder auf die Varaita-Maira-Kammstraße, die von hier aus noch ca. 7 km bis zum Umkehrpunkt beim Colle della Bicocca (2285 m) auf fast konstanter Höhe verläuft. Der Untergrund ist hier abwechselnd erdig bis feinschottrig kompakt und durchgehend leicht zu befahren. Von hier aus finden sich immer wieder entlohnende Blicke zurück ins Tal.

Unser Tag neigt sich dem Ende entgegen und die Sonne verabschiedet sich zwischen Wolken und den Westlichen Gipfeln und wirft Ihr warmes Licht zurück auf die Kammstraße, die hinter und liegt.

Wir kehren um zur Teerstraße die wir soeben gekreuzt haben und fahren nach Süden ab in Richtung Elva. Es ist an der Zeit ein Quartier zu suchen.

Übernachtungstipp

Auf der Fahrt ins Tal kommt man an eine Kreuzung, an der es rechts nach Elva und links über San Martino hinunter ins Tal geht. Genau an dieser Kreuzung befindet sich das Rifugio La Sousto dal Col. Es wird von einem jungen Team von Italienern sowie einem Nepalesen geführt, was schon die bunten Fähnchen am Haus andeuten. Das Menü ist fantastisch und die Zimmer schöner, sauberer und liebevoller eingerichtet als in so manchem Alpenhoten, das wir besucht haben. Eine echte Empfehlung also. Wir haben uns entschieden nach dieser anstrengenden aber entlohnenden Tour einen Tag Auszeit zu nehmen, uns in die Wiesen zu legen, zu lesen, ein weiteres Abendessen zu genießen und eine zweite Nacht zu bleiben.

Abschließend noch die Detailkarte zur gefahrenen Tour zur besseren Orientierung. Insbesondere die Einfahrt von Venasca sollte man sich einprägen.

Herzliche Grüße
Euer Friedbert

Übersichtskarte


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7 Gedanken zu „Varaita-Maira-Kammstraße

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  2. Liebster Friedbert,

    ein schöner Artikel – ich war ja dabei und kann bestätigen, dass es fast genauso war. Wer eine Gelegenheit sucht, seinem Moped ein paar Schrammen zugute kommen zu lassen, ist in der Varaita Maira gut aufgehoben. Wir haben ja auch einen halben Bremshebel gelassen ;-))
    Was ich an der Strecke wirklich schade fand: Es gibt wenig zu gucken! Im ersten Teil (einfach, ein bisschen nervtötend wegen der Steinplatten) hat’s Bäume dazwischen, ab und zu geben die den Blick auf ein wenig spektakuläres Tal frei. In der Steinhölle hatte ich genug damit zu tun, mit der Grande Dame die Stufen hoch zu hüpfen – selbst wenn nicht, waren wir im Wald und es gab kaum Gelegenheiten nach „draußen“ zu schauen. Erst das letzte Stück mit dem wirklich fiesen groben losen Schotter – gespickt mit ein paar großen Stein ergänzt durch die aus der Steinhölle bekannten Stuften – hatte man freie Sicht. Aber auch die war nicht wirklich spektakulär.
    Mein Fazit: Lieber Assietta, lieber Panoramica im Friaul, lieber Col Sommeiller.

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